Regulation der Genaktivität

(aus: Allgemeine Genetik, Werner Gottschalk, 1989)

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Höhere Organismen besitzen in jeder ihrer Zellen Zehntausende von Genen, die für verschiedene Funktionen verantwortlich sind und zu verschiedenen Zeitpunkten der Ontogenese über ihre Enzyme in den Stoffwechsel eingreifen. Gene für die Kontrolle der Meiosis können nicht in Keimpflanzen wirksam werden; Gene, die das Mengenverhältnis von Chlorophyll a : b kontrollieren, können ihre Wirkung nicht im Wurzelsystem entfalten. Die DNA-Menge einer menschlichen Zelle reicht für die Synthese einiger Millionen von Proteinen aus. Wenn alle Gene während aller Stadien der Ontogenese gleichzeitig aktiv wären, würde der gesamte Zellstoffwechsel zusammenbrechen. Eine geregelte Entwicklung, eine Differenzierung von Zelltypen und Organen, kann nur stattfinden, wenn die in allen Zellen gleichartig vorhandene genetische Information in einer streng geordneten Weise Verwendung findet. Es kann in bestimmten Entwicklungsphasen des Organismus stets nur ein kleiner Teil aller Gene aktiv sein, während die Mehrzahl in inaktiver Form vorliegt. Dies gilt nicht nur für Eukaryoten, sondern auch für Prokaryoten. Auch die mehr als 3000 Gene des Genoms von E. coli sind nicht gleichzeitig aktiv. Die Zelle muss folglich ein Steuerungssystem besitzen, das für die Aktivierung bzw. Inaktivierung der Gene sorgt.

Aus methodischen Gründen ist das Problem der Regulierung der Gen-aktivität bevorzugt an Mikroorganismen, vornehmlich am Bakterium E. coli, bearbeitet worden. Die hierbei gewonnenen Einsichten sind am Pilz Aspergillus nidulans bestätigt worden. Bei höheren Pflanzen und Tieren liegen auf diesem Sektor nur wenige Befunde vor.

Regulationsvorgänge bei Prokaryoten

Wir haben bisher stets vom Gen allgemein gesprochen und haben hierunter ein Element des Genoms verstanden, das für die Realisierung eines Merkmals im weitesten Sinne dieses Begriffs verantwortlich ist. Wenn wir die Regulation der Genaktivität diskutieren wollen, können wir den Genbegriff nicht mehr in dieser allgemeingültigen Breite verwenden. Wir müssen vielmehr zwischen verschiedenen Gruppen von Genen unterscheiden, die während der ontogenetischen Entwicklung des Organismus prinzipiell unterschiedliche Funktionen haben. Diese Unterschiede beziehen sich nicht auf die Ausprägung verschiedener Merkmale, sondern auf die Genfunktion an sich. Das von JACOB u. MONOD (Francois Jacob, Jacques Monod; Nobelpreis 1965) zu Beginn der 60er Jahre entwickelte Modell erklärt zelluläre Regulationsvorgänge auf der Ebene der Transkription (Abb.).

operon_modell_genregulation(F. Neubeck, 2002)

Hierbei unterscheidet man zwischen Struktur- und Regulator-Genen. Die Struktur-Gene sind für die Synthese spezifischer Polypeptide verantwortlich, die die vielfältigen Biosynthesen in der Zelle als Enzyme katalysieren. Ihr Wirkungsmechanismus ist bei der Besprechung von Transkription und Translation abgeleitet worden … .
Bei den Bakterien und Viren liegen die für eine Biosynthese notwendigen Struktur-Gene als Cluster zusammen, das als Operon bezeichnet wird. Es stellt eine Transkriptionseinheit dar: Alle Gene des Operons werden gemeinsam transkribiert und anschließend translatiert. Bei Salmonella sind z. B. 9 Nachbargene für die Synthese der Aminosäure Histidin verantwortlich. Ähnliche Verhältnisse liegen bei den Gengruppen vor, die die Threonin- und Isoleucin-Synthese dieses Bakteriums steuern. Zum Operon gehören noch zwei Komponenten mit regulatorischer Funktion, der Operator und der Promoter. Der Promoter ist derjenige DNA-Abschnitt, der von der RNA-Polymerase als spezifische Binde- und StartsteIle für die Transkription der Struktur-Gene erkannt wird und am Anfang des Operons sitzt. Neben ihm liegt der Operator.

Die Aktivität der Operons wird von den Regulator-Genen kontrolliert. In räumlicher Beziehung gehören sie nicht zu den Operons, für deren Regulation sie verantwortlich sind. Sie erzeugen bestimmte Proteine, sogenannte Repressoren, die bei der Regulation der Genaktivität eine Schlüsselstellung einnehmen. Sie lagern sich an den Operator an und verhindern dadurch die Anheftung der RNA-Polymerase an den Promoter. Dadurch wird die Transkription der Struktur-Gene blockiert, und das Operon kann nicht arbeiten. Die Inaktivierung kann dadurch aufgehoben werden, dass der Repressor seinerseits inaktiviert wird. Verantwortlich hierfür sind Induktor-Moleküle. Dies sind Proteine, die die sterische Konfiguration des Repressors verändern. Als Folge hiervon passt er nicht mehr auf den Operator und löst sich von ihm ab. Dadurch wird die Hemmung des Operators aufgehoben:
Das Operon kann aktiv werden und seine Proteine synthetisieren. Die Regulator-Gene sind also in der Lage, den Wirkungsmechanismus der Struktur-Gene in Gang zu setzen oder zu blockieren.

Regulationsvorgänge bei Eukaryoten

Nach der Publizierung des an Bakterien erarbeiteten Jacob-Monodschen Modells der Genregulation war man zunächst der Meinung, man könne dieses Modell auf breiter Basis auf die Eukaryoten übertragen. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Die Eukaryoten-Zelle ist wesentlich komplizierter organisiert als die Prokaryoten-Zelle. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf ihre innere Organisation, wobei die Kompartimentierung von erheblicher Bedeutung sein dürfte, sondern es gilt darüber hinaus auch für verschiedene Differenzierungsformen von Zellen in Organen unter-schiedlicher Funktion. Sie besitzen gegenüber der Prokaryoten-Zelle die 1.000-10.000fache DNA-Menge und erfordern offenbar auch andere Regulationsmechanismen. Für Zellen
unterschiedlicher Funktion sind unter-schiedliche Muster von aktiven und inaktiven Genen anzunehmen. Die bei den Prokaryoten weit verbreiteten Operons sind schon in den Genomen niederer Eukaryoten offenbar nicht oder nur in sehr geringem Maße vorhanden. Für die Hefe ist ein Operon bekannt, das die Gene für den Abbau der Galactose enthält. Bei den Pilzen liegen Gene verwandter Funktion i.a. nicht als Cluster beieinander, sie sind vielmehr über das ganze Genom verstreut. Einige Ausnahmen hiervon sind bei Neurospora bekannt. Wegen der hohen Genzahl muss jedoch angenommen werden, dass nicht jedes Gen einzeln gesteuert werden kann, sondern dass auch hier ganze Gen-gruppen gleichzeitig an- oder abgeschaltet werden. Insgesamt liegen über diese Vorgänge jedoch erst wenige Befunde vor.

(aus: Allgemeine Genetik, Werner Gottschalk, 1989)