Ein Hoch auf die Kopie
Ian Wilmut, Schöpfer des Klonschafs Dolly, erhält einen der angesehensten deutschen Forschungspreise. Jetzt will er Menschenzellen klonen. Das ist in Deutschland verboten. Im Gespräch verteidigt der britische Forscher die Versuche
DIE ZEIT: Gratulation zum Paul Ehrlich-Preis, einem klassischen Vorläufer zum Nobelpreis. Waren Sie schon einmal für Stockholm nominiert?
Ian Wilmut: Ich bin sehr erfreut und stolz, den Preis zu erhalten. Ob ich in Stockholm jemals vorgeschlagen wurde – das weiß ich nicht.
ZEIT: Ihr jüngstes Projekt, Klonen menschlicher Zellen zu Forschungszwecken, wäre in Deutschland verboten. Der Paul-Ehrlich-Preis wird zur Hälfte vom Bundesgesundheitsministerium finanziert. Das hat bereits Proteste ausgelöst.
Wilmut: Ach ja? In meiner Festvorlesung werde ich darlegen, warum diese Forschung sinnvoll ist.
ZEIT: Was sind Ihre wichtigsten Argumente?
Wilmut: Die Übertragung von Zellkernen durch Klonen ermöglicht es, Erbkrankheiten auf eine Weise zu studieren, die sonst nie möglich wäre.
ZEIT: Worin besteht diese Einzigartigkeit?
Wilmut: Bei einer familiär bedingten Krankheit können Sie die Veranlagung auf den geklonten Embryo übertragen, auf die Stammzellen und Zellkulturen, die sich aus ihm gewinnen lassen. So können wir im Labor kranke Zellen viel gründlicher studieren, als es je an Patienten möglich wäre. Wir wollen Motoneuronen studieren, jene motorischen Nervenzellen, die Muskeln steuern und deren Ausfall zu Lähmungen führt. Die Krankheit heißt ALS, Amytrophe Lateralsklerose.
ZEIT: Die ALS, an der auch der Physiker Stephen Hawking und der Maler Jörg Immendorff leiden, ist eher selten. Rechtfertigt solche Forschung das Opfern von Embryonen?
Wilmut: Neben der ALS gibt es viele Erbkrankheiten, die sich mit der Klontechnik genauer erforschen ließen. Die fundamentalen ethischen Differenzen beim Forschungsklonen beruhen auf unterschiedlichen Ansichten zum Embryonenschutz. Für mich sind Bewusstseins- und Erkenntnisfähigkeit zentrale Elemente des Menschseins, die sich erst nach vielen Schwangerschaftswochen ausbilden können. Die Embryonen, die wir nutzen, sind noch winzig, kleiner als ein Sandkorn, und haben sicher noch kein Bewusstsein.
ZEIT: In Deutschland sind Embryonen von Beginn an streng geschützt, Forschungsklonen ist verboten. Werden die hiesigen Stammzellforscher dadurch langfristig ins Hintertreffen geraten?
Wilmut: Natürlich. Dies betrifft nicht nur Deutschland, sondern mehrere europäische Staaten. Der Wettbewerb ist allerdings weniger innereuropäisch, sondern global. Um da zu bestehen, müssten wir Europäer uns gemeinsam anstrengen.
ZEIT: Um das Milliardenprogramm in Kalifornien oder die intensive Forschung etwa in Singapur oder Korea parieren zu können?
Wilmut: Genau. Allerdings glaube ich keineswegs, alle müssten das Gleiche tun und denken wie wir in Großbritannien. Ich werde in Frankfurt unsere Auffassung erklären, erwarte aber nicht, dass jeder zustimmt. Zu diesen ethischen Fragen gibt es unterschiedliche Positionen, darüber muss jedes Land selbst entscheiden.
ZEIT: Ein zentraler Kritikpunkt am Klonen sind die hohen Risiken von Fehl- und Missbildungen durch diese Technik.
Wilmut: Korrekt. Deshalb bin ich auch strikt gegen das reproduktive Klonen, das Zeugen von Menschen auf diesem Wege.
ZEIT: Laut Paul Ehrlich-Stiftung ist noch unklar, ob Dollys früher Tod mit dem Klonen zusammenhing, in der Presse heißt es oft, Dolly war ein vorzeitiges Opfer des Klonens. Was stimmt nun?
Wilmut: Dolly ist nicht an Spätfolgen des Klonens gestorben, sondern an einem von Viren bedingten Lungentumor.
ZEIT: Gesunde geklonte Tiere sind jedoch die Ausnahme. Gilt das nicht auch für die menschlichen Klonzellen, an denen Sie forschen wollen?
Wilmut: Deshalb werden wir sorgfältig darauf achten, wie normal die Zellen sind, die wir beforschen.
ZEIT: Der kritische Punkt beim Klonen ist eine Neuprogrammierung des Erbgutes von erwachsenen Wesen auf einen embryonalen Zustand. Wie wollen Sie dies bei Ihren Experimenten gewährleisten?
Wilmut: Das lässt sich nicht absolut sicherstellen. Darum werden wir auch sehr genau prüfen, ob eventuelle Folgen des Klonens unsere Ergebnisse verfälschen könnten.
ZEIT: Wie soll das gelingen?
Wilmut: Durch Vergleiche. Wir kennen bereits ein Gen, das für etwa zwei Prozent der ALS-Fälle verantwortlich ist. Wenn wir dieses Gen in geklonte Stammzellen einführen, können wir schauen, ob es sich dort anders verhält als in normalen, ungeklonten Zellen. Mit solchen Methoden können wir etwaige störende Einflüsse durch das Klonen prüfen.
ZEIT: Das Projekt der ehemaligen »Dolly-Firma« PPL-Therapeutics, aus der Milch geklonter Schafe wertvolle Eiweißmedikamente zu gewinnen, ist gescheitert. Woran lag es?
Wilmut: Hauptsächlich an wirtschaftlichen Faktoren, die ich nicht beurteilen kann, weil ich kein Wirtschaftsfachmann bin. Die Technik als solche ist okay und wird weiter verfolgt, in den USA werden entsprechende Medikamente klinisch getestet.
ZEIT: In welchen Bereichen sehen Sie eine wachsende Bedeutung des Klonens?
Wilmut: Erstens im bereits erwähnten Studium von Erbkrankheiten. Zweitens bei präzisen genetischen Veränderungen in Tieren. Das Klonen ist der einzige Weg, genau definierte Genvarianten in Tiere einzuschleusen. So kann man die Rolle einzelner Gene studieren – mit einer Fülle von Anwendungsmöglichkeiten. Sei es um Krankheiten besser zu verstehen oder um Merkmale zu verändern, etwa die Immunität gegen Krankheiten. Oder um menschliche Antikörper aus Rindern zu gewinnen, wie derzeit in den USA. Die Antikörper könnten dann zur Therapie oder zur Diagnostik dienen.
ZEIT: Es gab hochfliegende Hoffnungen, künftig Hochleistungskühe und -pferde oder sonstige Nutztiere zu klonen, aber auch die Schmusekatze oder den Hund. Die Lotterie des Klonens hat jedoch viele Enttäuschungen verursacht. Experten warnen sogar, der Charakter eines Lieblingshundes lasse sich gar nicht klonen. Stimmt das?
Wilmut: Bei der derzeitigen Technik ja. Erschwerend kommt hinzu, dass Charakterzüge nicht nur genetisch geprägt sind, die Verschiedenheit eineiiger Zwillinge zeigt das. Die jetzige Technik ist noch zu ineffizient für einen breiten Einsatz in der Tierzucht. Werden die Schäden und Risiken jedoch minimiert, dann spricht prinzipiell nichts gegen eine Verbreitung des Klonens in der Landwirtschaft. In der Pflanzenzucht ist es schließlich längst Praxis.
ZEIT: Wie ließe sich die Zuverlässigkeit der Klontechnik prinzipiell steigern?
Wilmut: Hauptsächlich durch Vorbehandeln der Spenderzelle, aber auch der Eizelle, um die Neuprogrammierung der alten DNA zu verbessern.
ZEIT: Und wo könnte das Klonen wichtige Fortschritte bringen?
Wilmut: Das Verfahren ist zu schwierig und zu teuer, um etwa sehr viele Patienten mit Zellen aus geklonten Embryonen behandeln zu können. Ich glaube, der wichtigste Fortschritt ist eine Veränderung des Denkens. Dolly hat das Vorurteil widerlegt, die Funktion erwachsener DNA sei festgeschrieben. Irgendwann werden wir lernen, sie gezielt zu verändern. Dann wird man etwa Parkinsonpatienten Blutzellen entnehmen und diese verjüngen auf einen regenerationsfähigen Status, der nicht unbedingt bis zum Embryo zurückreichen muss.
ZEIT: Dann wäre Klonen nur eine Lernphase, aber für die Therapie künftig entbehrlich?
Wilmut: Ja, das gilt für die Humanmedizin.
Das Gespräch führte Hans Schuh (c) DIE ZEIT 10.03.2005 Nr.11